TEIL II CHEMISCHE REAKTIONSTECHNIK 1
3 Grundlagen der Chemischen Reaktionstechnik 2
3.1 Grundbegriffe und Grundphänomene 2
3.1.1 Klassifizierung chemischer Reaktionen 2
3.1.2 Grundbegriffe und Definitionen 3
3.1.3 Stöchiometrie chemischer Reaktionen 7
TEIL II CHEMISCHE REAKTIONSTECHNIK
Ziel der Chemischen Reaktionstechnik ist es, eine im Labor gefundene chemische Umsetzung sicher in den technischen Maßstab zu übertragen oder einen chemischen Reaktor für eine gegebene Reaktion und eine geforderte Produktionshöhe auszulegen, und zwar im Hinblick auf seine Form, Größe und Betriebsweise. Grundlage dafür ist in aller Regel die Kenntnis der nicht durch Transportvorgänge bestimmten Geschwindigkeit der chemischen Reaktion. Sie lässt sich für Systeme von technischem Interesse jedoch bislang nicht theoretisch berechnen, sondern muss experimentell bestimmt werden. Daher beschäftigt sich Kapitel 4 eingehend mit der Reaktionsanalyse, d. h. der experimentellen Bestimmung und mathematischen Korrelation kinetischer Daten zu einer Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung (Abschnitt 4.1 und 4.2). Da die meisten technisch bedeutsamen Reaktionen nicht in einer intensiv durchmischten homogenen Phase ablaufen, haben auch Stoff- und Wärmetransportvorgänge einen wesentlichen Einfluss auf solche Reaktionen. Damit kommt der so genannten Makrokinetik, dem Zusammenwirken von Transportkinetik und chemischer Kinetik, eine besondere Bedeutung zu (Abschnitt 4.3). Bei der quantitativen Behandlung dieser Vorgänge spielen die Stöchiometrie der Reaktionen, die chemische Thermodynamik und die Stoff- und Wärmetransportvorgänge im Reaktionssystem eine wesentliche Rolle; diese Zusammenhänge werden zusammen mit verschiedenen Begriffsdefinitionen im Kapitel 3 behandelt, das diesen Teil einleitet.
Die Dimensionierung eines technischen Reaktors, die sogenannte Reaktorauslegung und die damit verbundene Reaktionsführung (Kap. 5 und 6), bilden den zweiten Teil der Chemischen Reaktionstechnik. Die einzelnen Typen chemischer Reaktoren zeigen unterschiedliches reaktionstechnisches Verhalten, weil die fluiddynamischen und die wärmetechnischen Verhältnisse im Innern dieser Reaktoren ganz verschieden sein können. Dies ist bei der Reaktorauslegung, die auf den Grundbilanzgleichungen zur Erhaltung von Masse, Energie und Impuls beruht, zu berücksichtigen. Neben der chemischen Kinetik sowie dem Stoff- und Wärmeaustausch bestimmt also auch die Fluiddynamik und die Temperaturführung in einem Reaktor (isotherm, adiabat oder polytrop) seine Produktionsleistung.
Diese kurze Aufzählung der wichtigsten Grundphänomene, von denen die Leistung eines technischen Reaktors und die Reaktionsführung abhängt, zeigt, dass es sich bei der Chemischen Reaktionstechnik um ein komplexes, vielschichtiges Wissensgebiet handelt. Gleichzeitig macht sie verständlich, warum sie sich – anders als andere Teilgebiete der Technischen Chemie (wie die Chemische Prozesskunde) – erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu einer systematischen Wissenschaft entwickelt hat, womit die wichtigste Voraussetzung für eine rationale Vermittlung in der Lehre erfüllt ist.
Die in allen Kapiteln zitierte Originalliteratur zu den beschriebenen Zusammenhängen und die ergänzend genannten Monografien sollen dem interessierten Leser über diese Einführung hinaus die Möglichkeit bieten, tiefer in die einzelnen Fragestellungen einzudringen. Hauptabsicht ist es, das Interesse an der Reaktionstechnik zu wecken, ihre Grundlagen zu vermitteln und mit der vorgestellten Systematik ein Ordnungsschema für die eigene Arbeit nicht nur an der Hochschule, sondern auch in der beruflichen Praxis an die Hand zu geben.
3 Grundlagen der Chemischen Reaktionstechnik
Zunächst werden die Grundbegriffe und Grundphänomene beschrieben, die zum Verständnis der Reaktionsanalyse und der damit zusammenhängenden Fragen zur Kinetik chemischer Reaktionen sowie der Modellierung und Auslegung von Reaktoren benötigt werden. Nachfolgend wird die Thermodynamik chemischer Reaktionen besprochen, wobei die Behandlung von Simultangleichgewichten im Vordergrund steht. Am Ende wird auf Stoff- und Wärmetransportvorgänge eingegangen, soweit deren Kenntnis für die Reaktionsanalyse und Reaktorauslegung erforderlich sind, und diese nicht im Kapitel 7 des Teils III „Grundoperationen“ besprochen werden.
3.1 Grundbegriffe und Grundphänomene
Einleitend wird eine Klassifizierung der chemischen Reaktionen nach Gesichtspunkten gegeben, die für die Chemische Reaktionstechnik eine wesentliche Rolle spielen. Daran schließt sich die Erläuterung der wichtigsten Definitionen an, die für die Reaktionsanalyse und die Reaktorauslegung von Bedeutung sind. Abgeschlossen wird der Abschnitt 3.1 mit der Behandlung der Stöchiometrie chemischer Reaktionen.
3.1.1 Klassifizierung chemischer Reaktionen
Generell anwendbare Berechnungsmethoden für die Chemische Reaktionstechnik setzen eine Systematik der Reaktionen und der Reaktionsapparate voraus. Für die Aufgabe, den Reaktor nach den für seine Gestaltung grundsätzlich entscheidenden Geschwindigkeiten der chemischen Reaktion sowie der Stoff- und Wärmetransportvorgänge auszulegen, ist eine Einteilung nach physikalischen Gesichtspunkten, wie der Zahl der beteiligten Phasen, der Art der Temperaturführung im Reaktor usw. zweckmäßig. So wird zwischen homogenen und heterogenen Reaktionen unterschieden; dies hängt davon ab ob die Reaktionspartner während der gesamten Reaktion nur in einer einzigen Phase oder in mehreren Phasen vorliegen. In diesem Sinn sind die meisten katalytischen Reaktionen als heterogene Reaktionen anzusprechen, weil zumindest der Katalysator in einer anderen Phase vorliegt als die Reaktanten. Weiter hängen Form und Größe des Reaktors und die darin realisierbaren Reaktionsbedingungen davon ab, ob die Umsetzung diskontinuierlich, d. h. in chargenweisen Ansätzen, oder kontinuierlich, d. h. im stetigen Durchfluss, ausgeführt wird. Diskontinuierlich durchgeführte Reaktionen erfolgen in abgeschlossenen Gefäßen, bei konstantem Reaktorvolumen (sog. geschlossene Systeme), während kontinuierlich durchgeführte Umsetzungen in (sog. offenen) Strömungssystemen bei konstantem Enddruck ablaufen, was eine entsprechende Anpassung der Berechnungsmethoden erfordert.
Für die anzuwendenden Berechnungsmethoden ist schließlich noch zu berücksichtigen, ob es sich um einfache Reaktionen handelt, bei denen die Kenntnis des Konzentrationsverlaufs eines einzigen Reaktanten genügt, um das gesamte Reaktionsgeschehen eindeutig zu beschreiben (wie z. B. bei der Schwefeltrioxid-Synthese durch Oxidation von Schwefeldioxid) oder ob die Reaktion komplex ist und mehrere Reaktionsgleichungen für eine Beschreibung des Umsatzverlaufes erforderlich sind.
Für die Planung, Auslegung und das Betriebsverhalten chemischer Reaktoren erlangen aber oft noch ganz andere Faktoren als ordnende Gesichtspunkte Bedeutung, wie die Fluiddynamik (speziell die damit zusammenhängenden Vermischungszustände) im Reaktionsraum und der Druckverlust im Reaktionsapparat, gegenüber denen die obigen Kriterien eventuell sogar zurücktreten.
Im Allgemeinen erfolgt die Einteilung des Stoffgebiets nach zwei Hauptgesichtspunkten: Von der Reaktion her wird zwischen homogenen und heterogenen Reaktionen unterschieden (vgl. auch Teil V dieses Lehrbuchs); vom Reaktor her werden zwei ideale Grundtypen, Strömungsrohr und Rührkessel als übergeordnetes Einteilungsprinzip benutzt. Der Reaktionstyp (einfache oder komplexe Reaktion) und die Art der Temperaturführung im Reaktor (isotherm, adiabat, polytrop) lassen sich dann als Spezialfälle einordnen, die sich vor allem auf die Art der numerischen (bzw. grafischen) Durchrechnung auswirken.
3.1.2 Grundbegriffe und Definitionen
Das komplexe Zusammenspiel zwischen chemischer Reaktion sowie Stoff- und Wärmetransport erfordert klar definierte Begriffe. Hier werden die IUPAC-Regeln zur Terminologie chemischer Reaktionen sowie die vom Fachausschuss Reaktionstechnik der Gesellschaft für Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen im Verein Deutscher Ingenieure vorgeschlagenen Symbole und der Arbeitsgruppe Reaktionstechnik in der Europäischen Föderation für Chemieingenieurwesen vorgeschlagenen Symbole verwendet.
Als Reaktionsapparat, Reaktionsgefäß oder Reaktor wird danach ein Apparat bezeichnet, in dem die chemische Reaktion durchgeführt wird.
Die Gesamtheit der darin befindlichen Stoffmengen wird Reaktionsgemisch oder Reaktionsmasse genannt. Die an der Umsetzung beteiligten Stoffe heißen Reaktanten. Lösungsmittel, Verdünnungsmittel, Inertgase, Katalysatoren, Verunreinigungen usw. sind in der Reaktionsmasse enthaltene Begleitstoffe, die nicht mit umgesetzt werden. Bei der Reaktion setzen sich die Ausgangsstoffe (Edukte) zu den Reaktionsprodukten um. Die Begleitstoffe wirken nur indirekt auf das Reaktionsgeschehen ein.
Das Reaktionsvolumen V bezeichnet das von der Reaktionsmasse im Reaktor eingenommene Volumen. Es muss nicht mit dem Reaktorvolumen VR (Leerraum des Reaktionsapparats) identisch sein. Der Reaktionsort ist derjenige Teil des Reaktionsvolumens, in dem sich der chemische Umsatz tatsächlich abspielt.
Die Zusammensetzung der Reaktionsmasse und die Mengen- und Konzentrationsänderungen beim Ablauf einer chemischen Reaktion werden durch die Anteile der verschiedenen Reaktanten und Begleitstoffe angegeben, wobei sich je nach der Art der Reaktion verschiedene alternative Bezeichnungen als zweckmäßig erwiesen haben.
Es ist üblich, die einzelnen chemischen Spezies eines Reaktionsgemisches mit Ai die zugehörige Molekülmasse mit Mi (kg Ai pro kmol Ai) und die jeweils vorhandene Zahl der Mole Ai mit ni (kmol Ai) zu bezeichnen. Die im Reaktionsgemisch vorhandene Masse an Ai ergibt sich dann zu mi = Mi · ni (kg Ai) und bei N Spezies im Reaktionsgemisch die gesamte Reaktionsmasse zu .
Vom Standpunkt der Reaktionstechnik sind massenbezogene Größen wegen der Erhaltung der Masse beim Ablauf chemischer Reaktionen die zweckmäßigste Zahlengröße, doch erweist es sich wegen des stöchiometrischen Ablaufs chemischer Reaktionen vielfach als vorteilhaft, auch mit den Molzahlen zu rechnen.
Ändert sich die Molzahl ni durch den Ablauf einer Reaktion, so gilt wegen der Stoffmengenerhaltung
, (3.1.1)
wobei die νi, die sog. stöchiometrischen Koeffizienten der Reaktion, für die Edukte negativ und für die Produkte positiv anzusetzen sind. Zum Beispiel:
N2 + 3H2 = 2NH3 | |||
A1 = N2 | M1 = 28 | Ν1 = –1 | |
A2 = H2 | M2 = 2 | ν2 = –3 | N = 3 |
A3 = NH3 | M3 = 17 | ν3 = +2 | |
■■Setzer: dies ist keine Tabelle, sondern eine Matrix, die direkt hier kommen sollte!■■
Die Molzahländerung einer Spezies Ai während des Ablaufs einer Reaktion kann (mit ni, 0 zur Zeit t0 und ni zur Zeit t) durch die für die betreffende Reaktion charakteristische Reaktionslaufzahl (extensive Größe)
beschrieben werden. ξ ist mit der betreffenden Reaktion verknüpft (Formelumsatz) und nicht mit einer chemischen Spezies. Mit der Reaktionslaufzahl als einziger Variablen lässt sich aber die jeweils vorhandene Molzahl bzw. Masse alter Spezies Ai beim Ablauf der Reaktion eindeutig angeben:
ni = ni, 0 + i (3.1.2 a)
bzw.
mi = mi, 0 + Mii (3.1.2 b)
Laufen mehrere Reaktionen gleichzeitig ab, dann gilt für jede Reaktion (j = 1, …, M)
und analog für eine an allen Reaktionen beteiligte Spezies
(3.1.3 a)
bzw.
. (3.1.3 b)
Da diese extensiven Größen in der Regel nicht direkt messbar sind, werden in der Reaktionstechnik meist intensive Größen benutzt (s. Tab. 3.1.1).
Durch Definition intensiver Reaktionslaufzahlen wie
(3.1.4)
lassen sich auch alle Konzentrationen, Stoffmengenanteile usw. beim Ablauf einer Reaktion eindeutig als Funktion einer einzigen Variablen angeben, z. B. gilt für die Konzentration
ci = ci, 0 + i (für V = const.). (3.1.5)
Tab. 3.1.1: Intensive Größen zur Kennzeichnung der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches
bzw. mit
für den Stoffmengenanteil
(3.1.6)
Dies zeigt übrigens, dass sich bei auch der Stoffmengenanteil einer Inertkomponente ändert. Weil aber i = Mi · ci ist, gilt analog
i = i, 0 + Mii (für V = const.) (3.1.7)
und
wi = wi, 0 + Mii (auch bei V ≠ const.) (3.1.8)
Das Konzept lässt sich auch auf den Fall von M gleichzeitig ablaufenden Reaktionen übertragen; mit
für die j-te Reaktion ergibt sich für die Konzentration eines an mehreren Reaktionen beteiligten Reaktanten
(3.1.9)
bzw.
(3.1.10)
und
(3.1.11)
bzw.
(3.1.12)
Die Reaktionsdauer tR ist diejenige Zeit (in Stunden oder Sekunden), innerhalb der die Reaktanten und Begleitstoffe am Reaktionsort reagieren. Sie ist bei Schicht- und Zonenreaktionen kleiner als die fluiddynamische Verweilzeit τ des Reaktionsgemisches im Reaktionsvolumen (= VR/Q). Schließlich bezeichnet man als Reaktorbetriebszeit tz diejenige Zeit, die insgesamt für die Durchführung des Prozesses vom Füllen des Reaktors, Aufheizen, bis zum Abkühlen, Entleeren und eventuell Reinigen benötigt wird. Bei kontinuierlich durchströmten Festbettreaktoren wird als Lebensdauer des Katalysators die gesamte (oft weit über ein Jahr betragende) Betriebszeit tB vom Einbau des frischen, bis zum Ausbau des erschöpften Katalysators gerechnet (Katalysatorstandzeit).
Der Durchsatz eines Reaktors ist die pro Zeiteinheit in diesen eintretende bzw. austretende Stoffmenge Qm in kg·h–1, gelegentlich auch (kmol·h–1) oder (m3h–1); letztere Einheit entspricht dem Volumenstrom Q.
Als Belastung eines Reaktors wird das Verhältnis vom Gesamtdurchsatz zum Gesamtvolumen des Reaktors bezeichnet. Sie umfasst also auch seitliche Zuführungen in gestuften Reaktoren oder die Rückführung von Teilen des abgezogenen Reaktionsgemisches. Auf den Querschnitt des Reaktors bezogen spricht man von Querschnittsbelastung oder Massenstromdichte, die häufig als Kennzahl benutzt wird (Einheit: kg·m–2·h–1).
Der Umsatzgrad X (oft auch nur kurz Umsatz genannt) ist die während der Reaktionsdauer umgesetzte Menge einer bestimmten Komponente, ausgedrückt in Bruchteilen (bzw. Prozenten) der eingesetzten Menge dieser Komponente, also z. B.
(3.1.13)
Die Ausbeute bzw. Einsatzausbeute Yk ist die während der Reaktion aus dem Ausgangsstoff i gebildete Menge eines Reaktionsprodukts k, ausgedrückt in Bruchteilen der (nach der Stöchiometrie) maximal möglichen Menge, also
(3.1.14)
Bei einfachen Reaktionen sind Umsatz und Ausbeute identisch, falls Ai die stöchiometrisch begrenzende Komponente ist. Bei komplexen Reaktionen wird das Verhältnis
(3.1.15)
als (integrale) Selektivität der gebildeten Spezies Ak bezeichnet.
Die Leistung L eines Reaktors ist das Produkt aus Durchsatz und Umsatz bzw. Durchsatz und Ausbeute in kg·h–1 oder mol·h–1. Die Kapazität – meist zur Kennzeichnung einer Gesamtanlage gebraucht – ist die maximal mögliche Leistung.
3.1.3 Stöchiometrie chemischer Reaktionen
Unter Stöchiometrie wird die Lehre von den Gesetzmäßigkeiten verstanden, denen die Änderung der Zusammensetzung eines Reaktionsgemisches während des Ablaufs einer chemischen Reaktion unterliegt; hierauf wird nachfolgend eingegangen.
3.1.3.1 Zusammensetzung des Reaktionsgemisches
Die stöchiometrische Gleichung, auch Reaktionsgleichung genannt,
CO + 3H2 = CH4 + H2O (3.1.16)
besagt beispielsweise: Wenn 1 mol CO verbraucht wird, so verschwinden gleichzeitig 3 mol H2 und je 1 mol CH4 und H2O werden gebildet. Gl. (3.1.16) ist gleichbedeutend mit der Beziehung
(3.1.17)
wobei n die Molzahländerung der betreffenden Komponente bezeichnet.
Da Gl. (3.1.17) unabhängig davon ist, in welche Richtung eine Reaktion abläuft, werden in stöchiometrischen Gleichungen keine Reaktionspfeile sondern Gleichheitszeichen gesetzt. Gemäß Konvention werden im Allgemeinen die links vom Gleichheitszeichen stehenden Komponenten als verschwindende (Edukte), die rechts stehenden als entstehende Komponenten (Produkte) bezeichnet.
In der Stöchiometrie liegt allgemein folgende Situation vor: Gegeben sind N Komponenten (auch chemische Spezies genannt), A1 …, Ai …, AN, die nach einem – zunächst unbekannten – Reaktionsschema miteinander reagieren. Wenn zur Beschreibung des Reaktionsgeschehens eine oder mehrere stöchiometrische Gleichungen (Reaktionsgleichungen) benötigt werden, wird von einer einfachen bzw. komplexen Reaktion gesprochen. Da die Stöchiometrie einfacher Reaktionen trivial ist, werden hier nur komplexe Reaktionen behandelt. Bei ihnen lassen sich mit Hilfe der Stöchiometrie folgende Fragen beantworten.
- Von wie vielen (und welchen) Spezies müssen die Molzahländerungen mindestens bekannt sein, damit die aller anderen berechnet werden können? Man bezeichnet diese Spezies auch als Schlüsselkomponenten.
- Wie viele (und welche) Reaktionsgleichungen (stöchiometrische Gleichungen) werden mindestens benötigt, um die Molzahländerung aller Komponenten zu erklären? Dies sind die sog. Schlüsselreaktionen.
Umgekehrt kann auch die Frage gestellt werden:
- Enthält ein Satz (intuitiv) formulierter Reaktionsgleichungen alle Schlüsselreaktionen oder möglicherweise auch solche, die zur Beschreibung des Umsatzgeschehens nichts beitragen?
- Wie sind bei einem komplexen System die gemessenen Molzahländerungen der Komponenten und der Fortschritt der einzelnen Reaktionen, die durch deren Reaktionslaufzahlen beschrieben werden, miteinander verknüpft?
Im Zusammenhang damit steht eine weitere Frage:
- Genügen die formulierten Schlüsselreaktionen zur Beschreibung des wirklichen chemischen Reaktionsgeschehens bzw. der Reaktionskinetik?
Die Grundlage der Stöchiometrie bildet die Tatsache, dass in einem geschlossenen System auch beim Ablauf einer chemischen Reaktion die Anzahl der Atome jedes einzelnen Elements stets konstant bleibt. Dies lässt sich quantitativ in folgender Weise ausdrücken: Wenn L die Anzahl der Elemente (gezählt als h = 1, …, L) in den N Spezies A1, …, Ai, …, AN [1], βhi der Koeffizient von Element h in der Summenformel der Spezies Ai und ni die Anzahl der Mole an Ai ist, gilt für die Zahl bh der Grammatome eines Elements h im gesamten Reaktionsgemisch
h = 1, …, L. (3.1.18)
Bei einer chemischen Reaktion ändern sich nun zwar die Molzahlen ni um
, (3.1.19)
wobei ni0 die Molzahl bei Reaktionsbeginn sein soll, die Atommengen bleiben aber unverändert. Es gelten daher die Elementbilanzen (z. B. für C, H, O usw.)
h = 1, …, L. (3.1.20)
Aus Gl. (3.1.20) ergeben sich alle weiteren stöchiometrischen Zusammenhänge; sie bildet die Grundlage aller stöchiometrischen Rechnungen. Diese Gleichung ist häufig auch in Matrixschreibweise[2] zu finden, wobei die Matrix B der βhi[3] als Element-Spezies-Matrix bezeichnet wird.
3.1.3.2 Schlüsselkomponenten und Schlüsselreaktionen
Wenn die Summenformeln aller an den Umsetzungen beteiligten Spezies i bekannt sind, stellt Gl. (3.1.20) ein homogenes lineares Gleichungssystem in den N Unbekannten ni mit den Koeffizienten βhi dar. Die Matrix B der βhi hat die Dimension L × N, ihr Rang (ermittelt z. B. durch Gauß’sche Elimination [1]) sei mit Rβ bezeichnet. In den meisten Fällen ist Rβ = L, da die Anzahl der Spezies N im Allgemeinen größer ist als diejenige der Elemente L, d. h., das Gleichungssystem ist unterbestimmt.
Nach den Regeln der linearen Algebra [1] besteht die Lösung des unterbestimmten Gleichungssystems (3.1.20) in der Ermittlung von Rβ sog. gebundenen Unbekannten, als Funktion der restlichen N – R, sog. freien Unbekannten. Die freien Unbekannten sind hier die Molzahländerungen der Schlüsselkomponenten; sind sie bekannt, so sind die Molzahländerungen der übrigen Komponenten, das sind die gebundenen Unbekannten, eindeutig berechenbar. Die Zahl R der Schlüsselkomponenten ist somit
R = N – Rβ (3.1.21)
Die Lösung des Gleichungssystems (3.1.20) soll an einem Beispiel demonstriert werden.
<<Anfang Beispiel>>
Beispiel 3.1.1: Bei der Synthesegaserzeugung aus Methan und Wasserdampf bei 600 °C und 0,1 MPa (1 bar) treten folgende N = 7 Spezies auf [3]:
CH4, H2O, H2, CO, CO2, C und C2H6.
oft auch mit A, B, C, P oder R bezeichnet ↑
Die Matrixschreibweise ist eine Art ,,Stenografie“ in der linearen Algebra. Sie hat eigene Regeln, die es erlauben, Gleichungssysteme ganz ähnlich wie einfache Gleichungen zu behandeln. Sie lassen sich beim Lösen von Gleichungssystemen mit mehreren Unbekannten und bei Koordinatentransformationen vorteilhaft benutzen. ↑
Das heißt die Anordnung der βhi geordnet nach Spezies i und Elementen h (s. Beispiel 3.1.1). ↑
Ulrich Kilian - 2018